I. Kapitel: Die Mondanrufung – Part 1
“Luna! Luna!”, ruft mich jemand. Ich sitze wieder mal auf diesem einsamen Stein nahe meinem Haus. Verträumt schaue ich über die Wiese und genieße den leichten Wind. Neben mir taucht Sol auf. Er ist total aus der Puste und schnappt nach Luft. Auch er ist ein Wolf, so wie ich. „Luna, hast du mich nicht gehört?“, sagt er immer noch nach Luft schnappend. „Doch! Doch!“ „Warum reagierst du dann nicht?“, fragt er weiter. „Ist doch egal. Was willst du denn nun?“ Er schaut mich etwas verärgert an: „Das fragst du noch? Es ist heute Neumond. Lupa bereitet schon alles für die Anrufung vor und du schaust hier ins Nichts.“ Ich atmete tief durch. „Ich komme ja schon.“ Einen kurzen Blick werfe ich noch auf die Wiese und stehe dann auf. Wir laufen an meinem Haus vorbei und dann den Weg entlang, der in den Wald führt. Lupa und Sol leben zusammen in einem Haus im Wald. Wir drei sind die letzten unseres Volkes, aber von außen würde niemand erkennen, dass wir einem anderen Volk angehören. Die Tür steht wie immer offen. Sol und ich treten ein. „Da bist du ja, Luna.“, begrüßt mich Lupa erleichtert, „Du weißt, dass ist deine Anrufung.“ „Ja, ja, ich weiß.“ Es war noch viel Zeit. Wir hatten erst Mittag und die Anrufung konnte erst heute Nacht stattfinden. Die letzten paar Mal hatte es allerdings auch nicht funktioniert. Nur ich konnte dieses tun, da meine Kraft vom Mond kommt und ich somit eine Verbindung zu ihm habe. Man nennt so jemanden bei uns Mondkind. Lupa bezieht ihre Kraft aus der Nacht, daher ist sie ein Nachtkind und Sol ein Sonnenkind. So hat Sol uns beiden gegenüber am Tage einen großen Vorteil, da seine Kräfte stärker sind. Bei Regen ärgert er sich immer. Lupa ordnet die Kerzen an und legt die Räucherstäbchen bereit. Ich schmeiße mich in den Sessel und starre an die Decke. In den letzten Tagen war so gar nichts passiert. Ich langweilte mich. Sol und Lupa schien das überhaupt nichts auszumachen. Dabei konnten sie sich so gut wie ich an die Vernichtung unseres Volkes vor 10 Jahren erinnern und an die Prophezeiung. Die Ruhe machte mich ganz verrückt. Mit meinen 22 Jahren könnte ich bald schon eine Familie gründen, wenn ich nur den richtigen Mann finden würde. Sol und Lupa haben einander. Die beiden sind nun bereits seit 2 Jahren verlobt. So langsam könnten sie auch mal heiraten. Ich schaute zu den beiden rüber. Sie alberten mal wieder rum. Sol kitzelte Lupa von hinten ab und Lupa begann sich natürlich zu wehren und zurück zu kitzeln. Sie benehmen sich manchmal wie Kinder, dabei ist Lupa auch schon 23 und Sol sogar 25. Ich fragte mich, wie ihre Kinder wohl später mal sein würden und wie sie aussehen würden. Vllt würden sie so grau sein wie ich, denn Lupa war ganz schwarz und Sol weiß. Ich war schon etwas neidisch. Einen hübschen Mann hätte ich auch gerne. Nur in diesem verlassenen Tal würde ich wohl kaum jemanden kennen lernen. „Hey!“, erschreckte mich Lupa, die nun vor mir stand. Ich war so in Gedanken versunken, dass ich sie nicht bemerkt hatte. „Was?“ Sie schüttelte den Kopf: „Du träumst mal wieder. Was ist nur los mit dir, Luna? Du bist in letzter Zeit überhaupt nicht mehr bei der Sache.“ „Entschuldige!“ Lupa kniet sich vor mich: „Was ist denn los?“ Ich schaue zu Sol herüber. Er steht mit verschränkten Armen da und wartet auf eine Antwort. Mein Blick wandert wieder zu Lupa, die mich erwartungsvoll anschaut. „Es ist nur... ach vergesst es.“ „Luna!“, mahnt sie mich. Ich stehe auf und gehe. Bevor ich durch die Tür gehe, schaue ich noch mal zurück zu den Beiden, die nun sehr besorgt nebeneinander stehen und mich ansehen. „Ich gehe nur etwas spazieren.“ Schnellen Schrittes laufe ich durch den Wald. In einiger Entfernung bleibe ich schließlich stehen und lehne mich an einen Baum. „Was mache ich hier eigentlich?“
I. Kapitel: Die Mondanrufung – Part 2
Ich ließ mich zu Boden sinken. Da saß ich nun auf der Erde und wusste eigentlich gar nicht warum. Was war nur mit mir los? Aber irgendwie wusste ich es auch. Ich musste in letzter Zeit so oft daran denken, wie unser Volk ausgerottet wurde. Es sah anfangs so aus, als wäre es ein ganz gewöhnliches Gewitter. Ein paar Blitze, das Donnern und der Regen, den ich noch heute spüre, wenn ich zurück denke. Doch es war kein gewöhnliches Gewitter. Ein großer Sturm wurde draus, die Erde bebte und verschlang einige von uns. Die Blitze setzen einige Häuser in Brand und der Sturm wurde zu einem Tornado. Alles wurde mitgerissen. Sol, Lupa und ich rannten weinend davon. Wir wussten auch nicht wohin. Immerhin waren wir noch Kinder. Seit dem sind wir auf uns gestellt. Wir haben immer gehofft, dass vielleicht noch jemand überlebt hat, aber gefunden haben wir niemanden. Auch heute wollen wir durch die Anrufung versuchen heraus zu bekommen, ob noch jemand von unserem Volk lebt. Ich wünschte es mir so sehr. Sol glaubt da nicht mehr dran, trotzdem will auch er Gewissheit. Plötzlich schrecke ich auf. Es wurde schon langsam dunkel. Ich träumte wirklich zuviel. Schnell lief zurück zu Sol und Lupa. Die beiden warteten bereits auf mich. Lupa sagte mit einem leicht besorgtem Ton: „Du warst aber lange weg.“ „Entschuldige! Ich bin wohl eingenickt.“ War glatt gelogen. Ich hatte nur mal wieder vor mich hingeträumt. Sie schaute mich skeptisch an. „Wirklich!“ Irgendwie kaufte sie mir das nicht ab, aber wir kannten uns ja schon seit unserer Kindheit. Da merkt man halt, wenn einer lügt. Ich ging einfach an ihr vorbei ins Haus. Sie hatten bereits alles für die Anrufung vorbereitet. Sol zündete die Kerzen an und kniete mich vor den Tisch auf dem die Kerzen standen. Die Räucherstäbchen waren im ganzen Raum verteilt, wodurch der Raum ziemlich verqualmt war. Ich begann mit der Anrufung. Hoffentlich würde ich keinen Fehler machen. Meine Worte mussten aus dem Herzen kommen und gut bedacht sein. „Neumond ist die Zeit in der wir neue Kräfte sammeln. Doch plagt uns die Ungewissheit. Die Ungewissheit, ob es noch jemanden aus unserem Volk gibt. Mein Mond zeige mir, ob es noch jemanden gibt von unserem Volk. Ich bitte dich!“ Ich fing an zu leuchten. Das war die letzten Male nicht passiert. Hatte ich alles richtig gemacht? Waren die Worte wirklich aus meinem Herzen gekommen? Was würde jetzt passieren? Ich bleib weiterhin vor dem Tisch knien und wartete ab. Das Licht verstärkte sich und wurde immer größer um mich herum. Schließlich konnte ich Sol und Lupa nicht mehr sehen. Sie riefen nach mir, aber ihre Stimmen verschwanden langsam. Das grelle Licht blendete mich sehr und so schloss ich schließlich die Augen. Ich spürte eine angenehme Wärme um mich herum. Das Licht wurde weniger und die Wärme verschwand. Ich öffnete wieder die Augen. Der Schreck traf mich tief. Ich war nicht mehr in dem Haus. Um mich herum riesige Felsen. Wo war ich nur. Ich sprang auf und drehte mich im Kreis. Das alles kam mir so überhaupt nicht bekannt vor. Was hatte ich nur getan? Wie sollte ich jetzt wieder zurück finden? So eine missglückte Anrufung hatte ich noch nie. Normaler Weise passierte nie etwas, aber jetzt war etwas passiert. Viel zu viel war passiert. Verdammt! Was nun? Ich lief nervös und leicht panisch hin und her. Ok! Ok! Setz dich erst mal! Ganz ruhig! Ich setzte mich auf einen Stein und überlegte. Aber das einzige was mir dazu einfiel, war immer nur: Was jetzt? Ich beschloss in eine Richtung zu laufen. Irgendwo müsste man hier ja wieder raus kommen und vielleicht würde ich dann jemanden finden, der mir sagen konnte, wo ich eigentlich war. Hier wuchsen nicht mal Bäume, überall nur Gestein und Staub. Mich würde es wundern, wenn ich auf jemanden treffen würde, aber jetzt war positives Denken angesagt. Ganz bestimmt bin ich gleich hier raus und stehe vor einem gemütlichen Haus mit netten Leuten, die mir den Weg beschreiben können. Glaubte ich das wirklich?
II. Kapitel: Schulden müssen beglichen werden - Part 1
Ich lief weiter und weiter, meine Füße schmerzten und meine Augen schienen vor Müdigkeit nicht mehr offen bleiben zu wollen. Doch wollte ich keine Pause machen, nicht einmal fünf Minuten. Irgendwen würde ich hier schon finden, früher oder später. Nur nicht aufgeben, dass wäre das Schlimmste, was ich tun konnte. Ich gähnte immer häufiger und meine Augen begannen zu tränen. Waren meine Füße überhaupt noch da? Ich spürte sie nicht mehr. Um mich zu vergewissern, sah ich zu Boden. Ja, da waren sie. Doch vor meinen Augen verschwamm langsam alles. Ich war so unglaublich müde. Meine Welt schien zu kippen und ein dumpfer Aufprall machte mir klar, dass ich umgekippt war. Ich machte mir nicht die Mühe wieder aufzustehen, dazu war ich viel zu erschöpft und müde. Die Umgebung um mich herum war so unwirklich. Würde ich wieder aufwachen? Würde mich jemand finden? Ich wusste es nicht. Meine Augen schlossen sich und eine angenehme Ruhe umgab mich.
Ich krallte meine Finger um die Bettdecke und drehte mich mürrisch zur Seite, als mir etwas Licht ins Gesicht schien. Meine andere Hand griff nach der Lappe auf dem Nachtischen neben meinem Bett, doch was war das? Dort stand keine Lampe, stattdessen ergriff ich etwas aus Metall. Bevor ich darüber nachdenken konnte, tropfte etwas heißes auf meine Hand. Ich zog sie erschrocken zurück und öffnete die Augen. Das war nicht mein Zimmer, nicht mein Bett und auch von sonst niemanden, den ich kannte. Ich richtete mich auf und erst jetzt bemerkte ich, dass es bereits wieder Nacht geworden war, denn der Mond schien leicht durch das Fenster. Nur eine schwache Sichel, aber er war da. Es war kein Neumond mehr. Wo war ich hier? Mein Blick wanderte zur Tür, sie war nur angelehnt. Ich stand auf und spürte im gleichen Augenblick, dass ich hunger hatte. Das musste warten. Schnellen Schrittes ging ich zur Tür und öffnete sie ganz. Ich sah in den Flur, nach rechts und nach links, eine Treppe führte nach unten. Nicht sicher, ob ich rufen sollte, sprach ich leise in den Flur: "Hallo? Ist hier jemand?" Keine Antwort, aber was erwartete ich, wenn ich nur flüsterte!? Allen Mut nahm ich zusammen und ging zur Treppe. Erst warf ich einen Blick hinab, bevor ich die Stufen nach unten nahm. Kaum war ich unten angekommen, hörte ich Geräusche. Es schien ein Fernseher zu laufen und aus dem Zimmer am Ende des Flurs schien Licht. Ich schluckte und ging auf das Zimmer zu. Langsam öffnete ich die Tür und blieb dann stehen. Da saß ein Wolf in einem Sessel vor dem Fernseher und lächelte mich freundlich an. Bevor ich überhaupt etwas sagen konnte, stand er auf und kam auf mich zu: "Hallo meine Schöne, gut geschlafen. Wie wäre es mit einem Dankeskuss?" "Ein Kuss?", murmelte ich noch gedankenversunken, dann jedoch wurde mir klar, was das Wort bedeutete und ich klatsche ihm eine mitten ins Gesicht. "Ow!", gab er von sich und hielt sich die Wange, "das hätte nun wirklich nicht sein müssen. Ich habe dich immerhin gerettet." Etwas peinlich war mir das jetzt schon, aber er musste ja nicht gleich einen Dankeskuss verlangen. Ich wollte mich nicht geschlagen geben und entgegnete ihm frech: "Mag ja sein, dass du mich gerettet hast, aber einen Kuss bekommst du dafür nicht. Hat dich ja keiner drum gebeten." Er machte sich nicht die Mühe mir zu wiedersprechen: "Stimmt, aber fragen kann man ja mal. Wie wärs, wenn wir fernsehn. Du und ich, du liegst in meinen Armen." Da flog die zweite Schelle von mir ins Gesicht: "Sag mal gehts dir noch gut? Wir kennen uns überhaupt nicht." "Das kann man ändern", grinste er, "Ich bin Nox und die hübsche Frau ist?" Meine Wut schien sich ins Unermäßliche zu steigern. Was bildete der sich überhaupt ein? Wieso musste ich gerade an ihn geraten? Hätte mich nicht wer anders finden können? "Ich bin Luna", zischte ich, "und fass mich ja nicht an." Nox hob demonstrativ die Arme nach oben und setzte sich wieder auf seinen Sessel: "Wie du wünschst, Luna." Immerhin, ich habe mich verständlich machen können. Erleichtert darüber setzte ich mich auf das Sofa so weit wie möglich von ihm entfernt. "Wo bin ich hier eigentlich?", begann ich zu fragen. "Bei mir zu Haus", entgegnete er. "Das sehe ich auch." "Warum fragst du dann?" Ich hätte an die Decke gehen können: "Wie heißt der Ort hier?" "Keine Ahnung, hab ich vergessen", antwortete er so gelassen, dass ich fast vor Wut explodierte. "Sag mal, willst du mich veräppeln?", schrie ich ihn an. "Nein", erwiederte er unschuldig und sah mich an. Das konnte doch nur ein schlimmer Traum sein. Sowas passiert mir doch nicht. Ich sah weg und suchte nach einem Gegenstand, den ich anstarren konnte. Ob er sich schon wieder zum Fernseher gedreht hatte? Ich wollte nicht nachsehen.